Rektorin der Astrid-Lindgren-Schule Hammersbach
Carmen Nickel-Hammer ist seit 2017 Rektorin der Astrid-Lindgren-Schule in Hammersbach. Die Grundschule hat derzeit 151 Schülerinnen und Schüler in acht Klassen. Fünf Vorschulkinder der benachbarten Kindertagesstätte besuchen dreimal wöchentlich den Vorlaufkurs, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Das Leitbild der Schule heißt: DU bist wichtig – ICH bin wichtig – WIR sind wichtig.
War Lehrerin schon immer Ihr Traumberuf, und was motiviert Sie in Ihrer täglichen Arbeit?
Als Grundschulkind wollte ich unbedingt Frisörin werden. In der gymnasialen Oberstufe bin ich dann einem Lehrer begegnet, der für mich Vorbild und Mentor war. Mein Lateinlehrer war unser John Keating, auch wenn wir keinen „Club der toten Dichter“ gründeten. Wir träumten davon, die Welt eines Tages friedlicher und gerechter zu machen und übertrafen uns immer wieder gegenseitig mit Ideen. Eine Schule wollten wir gründen und alles ganz anders machen. Wir trugen gewaltige rosarote Brillen und sahen uns einem Pädagogen gegenüber, der Interesse an uns hatte und mit uns über die Gelingensbedingungen einer besseren Welt philosophierte. Ich wollte Lehrerin werden, das stand fest und an ihm wollte ich mich orientieren. Den Traum von einer „anderen“ Schule träume ich noch immer, auch wenn ich inzwischen weiß, wie viele kleine Schritte dafür erforderlich sind und dass diese Schritte auch von allen anderen mitgegangen werden müssen.
Wie nahe sind Sie als Schulleiterin noch an den Schülern? Haben Sie selbst auch den persönlichen Kontakt, oder stehen administrative Aufgaben im Vordergrund?
Eine Schulleiterin arbeitet auch weiterhin noch im Unterricht. Ich unterrichte 16 Stunden, erteile Fachund Förderunterricht und bin in der Hausaufgabenbetreuung. Hin und wieder muss ich auch für eine erkrankte Kollegin einspringen, sodass ich natürlich alle Kinder der Schule persönlich kenne. Für meine Aufgaben als Schulleiterin verbleiben mir die Freistunden, die Nachmittage und auch der ein oder andere Abend.
Wie lange sind Sie schon im Lehrerberuf und was sind Ihrer Ansicht nach die gravierendsten Veränderungen in dieser Zeit?
Vor fast 30 Jahren stand ich zum allerersten Mal vor „meiner“ 1. Klasse mit 28 Schülern und den dazugehörigen Eltern, die mir ein ungeheures Vertrauen entgegenbrachten, obwohl sie wussten, dass wir als Neulinge allesamt noch wenig Erfahrung hatten. Zusammen haben wir dann die ersten Schuljahre richtig gut gemeistert. Ich verabredete mich nachmittags mit den Eltern und wir stellten Unterrichtsmaterialien her, wir trafen uns regelmäßig zum Eltern-Stammtisch. Wir unternahmen gemeinsam mit den Kindern Ausflüge und feierten zweimal im Schuljahr ausgiebige Feste. Wir führten einmal im Jahr ein Theaterstück auf, bei dem alle Kinder mitmachten. Das ist heute so kaum vorstellbar.
Sowohl die Arbeitswelt als auch das Freizeitverhalten haben sich inzwischen erheblich verändert. Zeit ist ein knappes Gut geworden. Bei Klassenfesten oder Aufführungen, die am Nachmittag oder am Wochenende stattfinden, ist zum Beispiel nicht damit zu rechnen, dass alle Kinder daran teilnehmen. Rollen müssen mehrfach besetzt werden, damit sie am Tag der Aufführung von anderen Kindern übernommen werden können. Viele Kollegen verzichten dann auf ein Gemeinschaftsprojekt der Klasse oder bringen nur noch solche Dinge zur Aufführung, bei der die Zahl der Mitwirkenden beliebig ist. Eltern informieren sich inzwischen auch seltener über den Schulalltag ihres Kindes durch ein persönliches Gespräch mit den Lehrern, sondern begnügen sich immer häufiger mit Informationen aus dem Gruppenchat der Elternschaft. Der fehlende persönliche Kontakt und die vielen, zum Teil widersprüchlichen Informationen, die in den Chats ausgetauscht werden, führen dann nicht selten zu Missverständnissen. Das Verständnis für die Belange einer ganzen Klasse oder gar Schulgemeinde ist dann nur schwer zu wecken.
Gemeinschaftserlebnisse wie das 2019 zum fünften Mal veranstaltete Zirkusprojekt sind in Ihrer Schule sehr wichtig. Was nehmen die Kinder von solchen Veranstaltungen mit?
Wir alle nehmen von diesem Zirkusprojekt sehr viel mit. Es versucht, den Zusammenhalt in der Schulgemeinde zu stärken. Es lässt uns alle eindrücklich erfahren, was wir zu leisten im Stande sind, wenn wir uns als Lehrer, Eltern und auch als gesamte Gemeinde gegenseitig unterstützen. Damit ein solches Projekt gelingen kann, bedarf es engagierter Mitstreiter und Unterstützer, die bei der Organisation und der Umsetzung tatkräftig mithelfen. Sie sind glücklicherweise nach wie vor zu finden und tragen dazu bei, dass jedes Kind im Laufe seiner Grundschulzeit einmal in der Zirkusmanege stehen kann. Der begeisterte Applaus am Ende einer Vorstellung entschädigt alle für die großen Mühen und lässt auch den ein oder anderen Ausrutscher vergessen. Kindern macht es große Freude zu zeigen, was sie schon alles können. Aufmerksamkeit und Anerkennung für ihre Bemühungen ist der Motor, der sie vorantreibt. Sie erleben sich selbst und ihr Tun als bedeutsam.
Der Neurobiologe Gerald Hüther formuliert das sehr anschaulich, indem er sagt, dass Veränderungen von Netzwerken im Gehirn möglich sind – dass also der Mensch etwas lernt, sobald die emotionalen Zentren aktiviert werden. In dem Zirkusprojekt entscheidet jedes Kind selbst, in welcher Kunst es sich versuchen möchte. Die Kinder üben mit Begeisterung eine Woche lang für ihren großen Auftritt und präsentieren am Ende dem staunenden Publikum voller Stolz, was sie gelernt haben. Dass die Kinder am Ende der Zirkuswoche ihr neu hinzugelerntes Können in einem bis auf den letzten Platz gefüllten Zirkuszelt präsentieren können und ihnen die Aufmerksamkeit und Anerkennung des Publikums gewiss ist, erachte ich als den wichtigsten Aspekt des Projekts. In Analogie zu Gerald Hüther betrachte ich das Zirkusprojekt vor allem als „Dünger für die Seele“ eines jeden einzelnen Kindes.
Sie fördern durch verschiedene AGs die Kreativität der Kinder. Welche Angebote gibt es, und wie intensiv werden diese wahrgenommen?
In Verantwortung der Schule haben wir eine Garten-AG sowie einen Schulgarten – in Zusammenarbeit mit dem Obstund Gartenbauverein Hammersbach. Eine Kollegin ist für die AG und den Schulgarten verantwortlich und wird dabei von vielen engagierten Vereinsmitgliedern und einigen Eltern tatkräftig unterstützt. Im Frühling und im Herbst gibt es zusätzlich einen Gartenaktionstag, an dem Erwachsene und Kinder zusammen im Garten arbeiten. Die übrigen Angebote umfassen Nähen, Amigurumi, Tennis, Taekwondo, Inliner fahren, Clever Kids, Musical, Modellbau. Im Frühling geht es dann mit den Inlinern ins Freie. Der Modellbauclub Hammersbach fertigt während der Wintermonate mit den AG-Teilnehmern die Flugmodelle an, die dann in den Sommermonaten auf dem Vereinsgelände fliegen. Neu hinzugekommen ist im Februar die Musical- AG. Für das Ende des Schuljahres ist eine Aufführung geplant. Die AG-Angebote stoßen bei den Kindern auf großes Interesse, sodass immer wieder das Los entscheiden muss, wer an einer AG teilnehmen kann.
Sie entwickeln zusammen mit den Eltern und Schülern jedes Schuljahr individuelle Ziele. Setzt das manche Kinder unter Druck oder kommen die Vorschläge eher von den Kindern selbst?
Zielvereinbarungen sind Teil der Entwicklungsgespräche. Wir haben in den Schulklassen Kinder, die über sehr unterschiedliche Erfahrungen, Fähigkeiten und Kompetenzen verfügen. Zielvereinbarungen formulieren einen nächsten Schritt im Lernprozess, die gemeinsam festgelegt und nach angemessener Zeit überprüft werden. Sie sehen daher ganz unterschiedlich aus und orientieren sich an dem jeweiligen Kind. Zielvereinbarungen sollen das Kind in seinen Bemühungen um Lernerfolge unterstützen. Sie bedürfen einer gewissen Anstrengung des Kindes und sollten so gewählt werden, dass sich eine Veränderung erreichen lassen kann, ohne das Kind dabei zu überfordern.
Was möchten Sie an der Schule noch erreichen? Was steht momentan an erster Stelle?
Zu Beginn dieses Schuljahres wurde die Astrid- Lindgren-Schule von einer Halbtags- zu einer Ganztagsschule. Damit wurde ein Prozess angestoßen, in dessen Verlauf sich Schule deutlich verändern wird. Die Schule wird künftig für viele Kinder der Ort sein, an dem sie sich bis zu zehn Stunden aufhalten. Neben dem Unterricht am Vormittag, dem Mittagessen und der Erledigung der Hausaufgaben liegt nun auch eine freizeitpädagogische Gestaltung in den Händen der Schule. Die multifunktionale Nutzung der Schulräume ist erwünscht und soll die Schule über den gesamten Tag als Lebensraum erfahrbar machen. Am Nachmittag arbeiten die Lehrerinnen und weiteres pädagogisches Personal gemeinsam für das Ganztagangebot.
Meinen Traum von einer „anderen“ Schule träume ich noch immer. Im vergangenen Sommer ist die Schulgemeinde einen ersten Schritt gegangen. Mit dem Ganztagsangebot haben wir einen Weg eingeschlagen, der es erfordert, mit vereinten Kräften eine anregende und entwicklungsfördernde Lernumgebung zu schaffen, die den Kindern erlaubt, ihre Potenziale zu entfalten.
Herzlichen Dank für dieses freundliche Gespräch!